Bewerbungsrede als Parteivorsitzender

Liebe Genossinnen und Genossen,

 

ein Signal muss von diesem Parteitag ausgehen, da sind wir uns alle einig: DIE LINKE ist die Stimme des Friedens und der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land! 

Das erfordert ein geschlossenes Auftreten. Und von jedem, der sich um ein Parteiamt bewirbt, die ehrliche Selbstbefragung: warum und für wen mache ich eigentlich linke Politik?

Meine Antwort ist sehr persönlich. Ich bin Lehrer aus Leidenschaft und habe mehrere Jahre an einer Schule im Leipziger Norden gearbeitet, die manche als sozialen Brennpunkt bezeichnen würden. Einer meiner Schüler war Toni. Ich habe hier ein Foto von ihm und seinen Mitschülerinnen und Mitschülern, damals in der ersten Klasse. Heute ist Toni 14 - er hat mir vor einigen Tagen per SMS viel Glück für Erfurt gewünscht.  Mit Kindern wie Toni und ihren Eltern in der Schule zu arbeiten, eröffnete tiefe Einblicke auf soziale Realitäten, die zum Teil unfassbar traurig und erschütternd waren. Ich weiß genau, wie schwer es Kinder ohne Frühstück in der Schule haben. Wie schwierig Anträge für die Übernahme von Kosten für Wandertage, Klassenfahrten und zusätzliche Förderangebote sind. Und dann sehe ich immer wieder das Glück von Eltern und leuchtende Kinderaugen, wenn wir gemeinsam Erfolg hatten. Linke Politik machen wir vor allem für die sozial Benachteiligten in unserem Land, für Menschen, die ihre Stimme nicht mehr erheben können und längst resigniert haben. Für prekär Beschäftigte und Arbeitslose, Rentnerinnen und Rentner, Azubis und Studierende, Menschen mit Behinderung, Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchtete - und selbstverständlich auch für die vielen von Armut betroffene Kinder wie Toni!

DIE LINKE war, ist und bleibt eine Kümmererpartei! Was denn sonst! 

 

Liebe Genossinnen und Genossen, 

ich war in den letzten Wochen viel unterwegs, mehr in West als in Ost, um unsere engagierten Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern in NRW und Schleswig-Holstein zu unterstützen. Ich habe dabei mit Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Bewegungen und zahlreichen Initiativen gesprochen. Viele Themen spielten eine Rolle, eines aber ragte stets heraus: Die Inflation von rund acht Prozent und die Explosion der Lebensmittel- und Energiepreise bewegt alle, denn sie treffen das gesamte Land. Viele Menschen müssen nun erstmals zu den Tafeln und haben Angst, im nächsten Winter zu frieren. Im Osten ist die Lage angesichts deutlich geringerer Löhne, Gehälter und Alterseinkommen noch dramatischer. Auch wenn nicht mehr Leipzig, sondern Gelsenkirchen die deutsche Armutshauptstadt ist. DIE LINKE Bundestagsfraktion hat deswegen schnell gehandelt. Als ihr Ostbeauftragter durfte ich am Donnerstag im Bundestag unseren Antrag „Schutzschirm für Ostdeutschland“ einbringen. DIE LINKE ist selbstverständlich eine gesamtdeutsche Partei. Aber wir dürfen die Spezifik des Ostens auch 32 Jahre nach der Einheit nicht aus den Augen verlieren. 

Mit der strukturellen Benachteiligung Ostdeutschlands und der Ostdeutschen in Spitzenämtern muss endlich Schluss ein!

 

Liebe Genossinnen und Genossen, 

als ich mich entschieden hatte, heute für dieses verantwortungsvolle Amt zu kandidieren, dann nicht, weil ich mich wegen eines gewonnenen Direktmandats als Retter der Partei fühle. Aber 27 lange Jahre war dieser Wahlkreis im Leipziger Süden von SPD und CDU dominiert. Die Direktmandate 2017 und 2021 waren eine Gemeinschaftsleistung vieler Genossinnen und Genossen, Freunde und meiner Familie. Die Haupterfahrung beim Leipziger Weg war für mich: wir können durch milieu- und flügelübergreifendes Handeln Wahlen gewinnen. Ich hatte deshalb viele prominente Mitglieder zu meinem Wahlkampf nach Leipzig eingeladen, u.a. Katja Kipping, Amira Mohamed Ali, Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch und Gregor Gysi. Dieses Erfolgsrezept will ich aus dem Leipziger Liebknecht-Haus ins Karl-Liebknecht-Haus nach Berlin tragen. Nur im Team haben wir noch eine Chance. Es ist doch aberwitzig, dass es keine Partei ihrer Wählerschaft so schwer macht sie anzukreuzen wie wir. 

Damit muss jetzt Schluss sein: Endlich zusammen, statt weiter gegeneinander. 

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

seit dem 24. Februar bewegt uns und die ganze Welt ein Thema. Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine war und ist verbrecherisch. Das menschliche Leid, das dieser Krieg verursacht, lässt niemanden von uns unberührt. DIE LINKE ist die einzige im Bundestag vertretene Partei, die der militärischen Eskalation seitens der Ampel-Koalition entgegentritt. Deshalb auch unser konsequentes Nein zum 100-Milliarden-Aufrüstungspaket. Wir haben Alternativen vorgeschlagen, was mit dieser Riesensumme stattdessen finanziert werden sollte: gute Schulen, intakte Brücken, kostenlosen ÖPNV und vieles mehr.  

Senden wir von diesem Bundesparteitag ein klares friedenspolitisches Zeichen: DIE LINKE sagt JA zu Diplomatie und Verständigung und NEIN zu Rüstungswahn und olivgrüner Kriegslogik!

 

Liebe Genossinnen und Genossen, 

was mich besonders umtreibt, seit ich in Berlin bin: einzelne Parteimitglieder einem Lager zuzuordnen und mit Stempeln zu stigmatisieren. Genosse X ist ein Bartschist, Genossin Y ist eine Wissleristin und Genosse Pellmann ist ein Wagenknecht. Diese Etiketten kleben zwar schnell, sagen aber gar nichts über Charakter und Persönlichkeit sowie die Fähigkeit zur politischen Zusammenarbeit aus. Deshalb noch ein Wort zu mir als Kommunalpolitiker und als Fraktionsvorsitzender. Hier lautet mein politisches Credo seit 2009 - NAH DRAN! Viele Wählerinnen und Wähler erkannten das an und verhalfen uns zu gewichtigen Erfolgen. Nur drei Beispiele in aller Kürze: Drei Jahre sind die Preise im ÖPNV nicht gestiegen; wir haben erreicht, dass im Kampf gegen Kinderarmut eine Kinder-Charta kommt und es werden grundsätzlich keine städtischen Grundstücke mehr verkauft. Links wirkt in Leipzig! Diese Beispiele zeigen: wir waren, sind und bleiben Kümmererpartei! 

Im Ergebnis heißt das: DIE LINKE hat ihre Wurzeln wesentlich in der Kommunalpolitik und das muss auch so bleiben.

 

Liebe Genossinnen und Genossen, 

Es muss endlich Schluss sein, mit den Eitelkeiten und der inneren Zerrissenheit an der Spitze der Partei. Wenn uns das gelingt, werden wir mit Engagement, mit Verstand und mit Herz wieder an Stärke, Zuspruch und Verankerung gewinnen. Bei der Wählerschaft von heute und der von morgen, zu der dann hoffentlich auch Toni zählt. Die Linke in Kolumbien und Frankreich hat uns am letzten Wochenende erfolgreich gezeigt wie es geht. Das ist ein Ansporn. 

Ich wünsche mir, dass am Ende dieses Parteitages die Botschaft steht: Wir waren, wir sind und wir bleiben! Trotz alledem!


 

Die Rede könnt ihr hier auf YouTube als Video sehen: https://youtu.be/J6TJ4c7K3Is